Das Macchiato-Glück

Wenn es einen früher inmitten städtischen Treibens nach Kaffee gelüstete, gab es überhaupt kein Vertun: Man begab sich stracks in die nächste Koffein-Ausgabestelle, die meist unschwer an Worten wie Café oder Konditorei zu erkennen war. Dortselbst suchte man sich eine vorzugsweise mit grauenhaftem Muster entstellte Sitzgelegenheit, ließ sich mit Tüten und Päckchen häuslich nieder und übermittelte dem flugs herbeischwebenden Bedienungspersonal mit dezent gesenkter Stimme den Wunsch "einen Kaffee bitte". Hiernach musste die Grundsatzfrage "Tasse oder Kännchen" geklärt werden, und alsbald durfte man ein Gefäß schwarz dampfenden Inhalts verwalten.

Cafés in Deutschland garantierten über Generationen die Heimeligkeit des Muffigen, worin das Zwiegespräch unter Damenhüten traut gedieh, und das bei erheblicher Verweildauer auf schorfigen Stuhlbezügen. Solche Zeiten sind vorbei. Heute trifft man allenthalben auf verheißungsvolle Schnelltrinkstätten, die neben den üblichen Gründer- und Besitzernamen auch Kennungen tragen wie "Coffee to go" oder "Coffee World" oder die besonders in der Nähe zu den Niederlanden Missverständnisse provozierende Bezeichnung "Coffeeshop". Es sind Orte beschleunigter Lebensverwaltung. Selten sitzt man dort, meist steht oder hockt man auf Möbeln, wie sie eher zu Bars passen. Schließlich hat man zu tun!

Wer in diesen Cafés à la mode einfach nur seine harmlose alte Koffeinsucht befriedigen möchte und "einen Kaffee bitte" bestellt, läuft leicht ins Leere. Versuchen Sie's mal: Mit hochgezogenen Augenbrauen werden die Verkaufskräfte so etwas wie einen Test starten, bei dem man Auskunft erteilen muss, ob es denn ein Espresso, ein Espresso Macchiato, ein Caffè Latte (oder auch Latte Macchiato) oder ein Cappuccino sein soll, den man hier zu Lande ­ stupido! ­ auch jenseits des Frühstückhörnchens schlürft.

Das Spektrum ist damit längst nicht ausgelotet. Hat man die Phase des Haderns mit den italienisch klingenden Kaffees, die mit der oft herb amerikanisch anmutenden Einrichtung eigenartig kontrastieren, endlich hinter sich, folgt die nächste Prüfung: Ob man es gerne regular, intense oder strong hätte, will die abgebrüht freundliche Servicekraft wissen. Danach folgt die raffinierte Form des klassischen "Tasse oder Kännchen"-Konflikts auf Anglo-Italienisch: short, tall, grande oder x-grande?

So trinkt sie, die neue Welt. Wer da noch mit stinknormalem Filterkaffee kommt, tröpfelt unentschuldbar am Geist der Gegenwart vorbei.

(Quelle: prisma, Wochenmagazin, Artikel von Hans Hoff)